Meinungsfreiheit gilt auch für Betriebsratsmitglieder
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 04.03.2016, 10 Ta BV 102/15
Der Betreiber eines Senioren- und Pflegezentrums kann einen Altenpfleger, der sich in seiner Eigenschaft als Mitglied des Betriebsrats und als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Klinikgruppe mit einer kritischen E-Mail an den Einrichtungsleiter und die Aufsichtsratsmitglieder wendet, nicht kündigen.
Das Betriebsratsmitglied ist bereits seit dem Jahr 1994 bei der Arbeitgeberin als Altenpfleger im Nachtdienst beschäftigt. Er gehört dem Betriebsrat seit 20 Jahren an. Er hatte Kritik an geplanten Kontrollen geäußert. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat in seiner Pressemitteilung Nr. 18/16 vom 04.03.2016 den Wortlaut der E-Mail auszugsweise wie folgt wiedergegeben:
„…wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie wöchentlich eine Überwachungskontrolle, mit technischen Gerätschaften, der Mitarbeiter in der Pflege durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann. …“
Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds, die der Betriebsrat nicht erteilte. Das Arbeitsgericht Oberhausen wies den Antrag auf Zustimmungsersetzung zurück, das LAG Düsseldorf bestätigte diese Entscheidung.
Nach Ansicht der Gerichte liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Zwar ist es so, dass ein Vergleich betrieblicher Umstände mit dem nationalsozialistischen Regime eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, jedoch enthielt die E-Mail vom 21.04.2015 eine solche Gleichsetzung nicht. Das Betriebsratsmitglied, dem gekündigt werden soll, warnt vielmehr vor einer möglichen künftigen Entwicklung und knüpft damit allenfalls an die Verhältnisse während der nationalsozialistischen Machtergreifung und danach an. Dem Betriebsratsmitglied ging es nicht um eine Diskreditierung der Arbeitgeberin, sondern darum, dass man Entwicklungen von Beginn an beobachten muss „bevor etwas aus dem Ruder läuft.“ Eine solche Äußerung ist nach der zutreffenden Ansicht der Arbeitsgerichte von der Meinungsfreiheit geschützt; auch zuspitzende historische Vergleiche sind von der Meinungsfreiheit gedeckt, so das LAG Düsseldorf.